Neue Entwicklungen bei der Arthrogryposis

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Neue Entwicklungen bei der Arthrogryposis

Vortrag von Prof. Judith G. Hall, OC, MD

Emeritierte Professorin für Pädiatrie und Humangenetik an der University of British Columbia und dem BCChildren’s Hospital, Vancouver/Kanada

anläßlich der 11. IGA-Familientagung, Möhnesee 2009

Bei der Arthrogryposis multiplex congenita (AMC) handelt es sich um eine Beschreibung des Zustands von angeborenen, nicht fortschreitenden Bewegungseinschränkungen von zwei oder mehreren Gelenken in verschiedenen Körperregionen. Es wird also eine Vielzahl von verschiedenen Diagnosen unter dieser Beschreibung des Zustandsbilds zusammengefasst. Eine eigenständige Diagnose ist die AMC nicht. Vielmehr sind heute über 300 verschiedene Diagnosen bekannt, die sich in der Ausprägung einer Arthrogryposis äußern. Die genaue Kenntnis des Typs der AMC und damit der Ursache, kann jedoch entscheidende Hinweise für eine zielgerichtete Behandlung geben. Obwohl Prof. Hall offiziell inzwischen im Ruhestand ist, nutzt sie nun ihre Zeit, um Krankheitsverläufe der AMC im Detail zu analysieren und sie veröffentlicht weiterhin ihre Studienergebnisse.

Der Vortrag befasst sich zunächst mit der Häufigkeit von angeborenen Kontrakturen und widmet sich dann der Frage, welche Wege zu einer Diagnose der einzelnen Erkrankung führen können. Es wird die Fetale Akinesie-Deformationssequenz als Wirkmechanismus beschrieben, der zur einer AMC führt. Im Anschluss wird näher auf die Bedeutung der Bewegung im Mutterleib für die Entwicklung des Fötus eingegangen und welche Effekte eine fehlende Bewegung in diesem und späteren Entwicklungsstadien haben kann. Er werden die Möglichkeiten einer vorgeburtlichen Diagnostik und sogar Therapie diskutiert. Schließlich wird ein Blick auf die Herausforderungen geworfen, die sich bei der Therapie der AMC generell stellen.

Die Häufigkeit der Arthrogryposis

Angeborene Kontrakturen beim Neugeborenen sind an sich gar kein so seltenes Phänomen. Klumpfüße treten mit einer Häufigkeit von 1:500 – 1:1.000 auf. Angeborene Dislokationen der Hüfte sind mit einer Häufigkeit von 1:200 – 1:500 zu sehen, multiple angeborene Kontrakturen in nur 1:3.000 – 1:6.000 Fällen. Betrachtet man alle angeborenen Kontrakturen gesamt, liegt die Häufigkeit sogar bei 1:100 – 1:250. Aber nicht alle angeborenen Kontrakturen stellen auch eine Arthrogryposis dar.

Doch obwohl eine AMC viel häufiger vorkommt als viele andere Behinderungen, wie zum Beispiel eine Muskeldystrophie, kennen viele Ärzte das Krankheitsbild nicht. Und wenn dann so ein Kind geboren wird, ist vielen Eltern und auch den Ärzten nicht klar, wie eine Behandlung aussehen sollte. Es muss nochmals betont werden, dass AMC keine eigenständige Diagnose ist, sondern vielmehr ein Anzeichen oder eine Ausprägung einer Vielzahl von verschiedenen Diagnosen. Offenbar ist, dass sich das Kind nicht bewegt. Aber für Prof. Hall stellt sich dann sofort die Frage, warum das ursächlich so ist.

Bei der Arthrogryposis gibt es viele so genannte letale Typen, das heißt, in diesen Fällen kommt es zu Fehl- und Totgeburten. Aber insgesamt ist das Krankheitsbild äußerst heterogen, und es gibt keine ICD-Codes des internationalen Systems zur Klassifizierung von Krankheiten und Gesundheitsproblemen für eine angemessene Differenzierung der verschiedenen Typen und um die verschiedenen Ausprägungen zu beschreiben. Sie werden alle unter dem ICD-Code Q74.3 Arthrogryposis multiplex congenita zusammengefasst.

Um die tatsächliche Häufigkeit einer Erkrankung in einem bestimmten Gebiet einschätzen zu können, ist immer der Bezug der einzelnen Fälle zur gesamten Bevölkerungszahl notwendig. In Australien gab es einmal aufgrund sprunghaft ansteigender Fallzahlen den Verdacht einer Epidemie. Bei genauerer Betrachtung stellte sich jedoch heraus, dass hier völlig verschiedene Diagnosen gemeinsam betrachtet wurden, was die Aussagekraft der Zahlen verfälschte.

Nur in wenigen Ländern gibt es systematische Erhebungen über das Vorkommen von Einzelfällen. In den USA gibt es ein solches Register im Bundesstaat Washington und in Kanada eines für die Provinz British Columbia. Darüber hinaus sind staatliche Register nur in Finnland und Schweden bekannt.

Epidemiologisch kann man die Häufigkeit der AMC mit etwa 1 von 3.000 Geburten angeben und mit einer Prävalenz, also dem Vorkommen in der Bevölkerung mit 1:4.000 bis 1:6.000. Weiter unterscheiden kann man, indem man die Kriterien nach Geografie, nach Geschlecht oder auch nach dem Alter der Eltern heranzieht sowie einzelne punktuelle „Ausbrüche”.

Die AMC tritt bei etwa 1:3.000 bis 1:5000 Lebendgeburten auf. Bei etwa einem Drittel der Fälle handelt es sich dabei um den Typ einer Amyoplasie, bei einem weiteren Drittel ist auch das Zentralnervensystem betroffen sowie die tödlich verlaufenden Fälle. Beim letzten Drittel liegt eine heterogene Gruppe von Störungen vor, bei denen die AMC nur einen Teil der Erkrankung darstellt.

Die University of Washington in Seattle hat in den 1970er Jahren eine Studie an einer Gruppe von Fällen vorgenommen, die zunächst der AMC zugeordnet wurden. Zunächst waren dies mehr als 1.500 Fälle. Aber nur bei 800 von ihnen handelte es sich tatsächlich um angeborene Kontrakturen. 300 weitere Fälle schieden für die Studie aus, weil bei ihnen nur eine sekundäre Arthrogryposis vorlag. Von den verbleibenden 500 Fällen mussten weitere 150 Fälle von der Studie ausgeschlossen werden, weil hier nur unzureichende Daten vorhanden waren. Es blieben schließlich also nur noch 350 gesicherte Fälle von AMC für die Studie übrig.

Wege zur Annäherung an eine Diagnose

Wie nähert man sich aber nun einer Diagnose der verschiedenen Ausprägungen einer AMC? Welche klinischen Unterscheidungsmerkmale sind hierfür nützlich?

Nach dem klinischen Erscheinungsbild lässt sich zunächst recht einfach eine Einteilung in drei verschiedene Typen vornehmen, die in der Studie mit der angegebenen Häufigkeit vorkamen:

  1. hauptsächlich die Gliedmaßen sind betroffen (n=186; 53 %),
  2. die Gliedmaßen und andere Körperregionen sind betroffen (n=129; 37 %),
  3. die Gliedmaßen und das Zentralnervensystem sind betroffen sowie die letalen Formen (n=35; 10 %)

Um das Krankheitsbild aber besser verstehen zu können, muss neben der klassischen Unterteilung in drei Typen anhand des klinischen Zustandsbildes auch eine Differenzierung nach den Ursachen erfolgen. Die über einhundert Einzeldiagnosen lassen sich dann wieder nach dem dreiteiligen klinischen Zustandsbild gruppieren.

Tabelle 1: Differentialdiagnosen von Erkrankungen mit multiplen angeborenen Kontrakturen

Limbs only Limbs and other body areas Limbs and CNS, and/or lethal
Absence of dermal ridges Aase-Smith Absence of the cerebellum with AMC
Absence of DIP creases of fingers Abnormal uterine shape Adducted thumbs
Amniotic bands Abnormal uterine structure AMC-Lethal (Finland)
Amyoplasia Adductor laryngeal paralysis AMC with IUGR, craniofacial, and brain anomalies
Angulation of long bone with overlying dimples and shortening of soft tissue Assymetric crying facies AMC, renal tubular dysfunction, cholestosis (ARC)
Antecubital pterygium Camptodactyly Arthropathy Coxa Vara Pericarditis Synovitis Anterior horn cell disease (Finnish)
Bruck syndrome Camptodactyly-Guadalajara Antley-Bixler (x-trapezoidcephaly)
Camptodaktyly – congenital and general Camptodactyly-Cilic Bartsocas-Papas syndrome (lethal popliteral pterygium)
Camptodaktyly with arthropathy Camptodactyly London Basal ganglia disease
Coalition Camptodactyly Tel Hashomer Bixler microcephaly
Contractural arachnodaktyly Caudal deficiency and asplenia Blepharophimosis-joint contractures-mental retardation-Dandy-Walker malformation syndrome
Contractures, continuous muscle discharge and titubation Clasped thumbs and mental retardation Camptomelic dysplasia
Distal arthrogryposis type I Conradi-hunermann Carbohydrate-deficient glycoprotein syndrome
Humeroradial synostosis (HRS) Contractural arachnodactyly Carey-Fineman-Ziter syndrome
Impaired pronation/supination of the forearm (familial) Contractures, continuous muscle discharge and titubation Caudal dysgenesis
Liebenberg syndrome Deafness and camptodactyly Cerebro-oculo-facio skeletal (COFS; Pena Shokeir II)
Lower limb only (Autosomal dominant, Autosomal recessive and X-linked arthrogryposis type 6) Diastrophic dysplasia CHARGE syndrome
Lumbee syndrome Distal arthrogryposis with abnormal facial movement Chondrodysplasia puncatata (rhizomelic)
Mesomelic dysplasia Distal IIA (Gordon syndrome) Congenital fiber type disproportion with congenital contractures
Patella-Aplasia-Hypoplasia (PTLAH) Distal IIB (mitochondrial) ophtalmoplegia with firm muscles Congenital muscular dystrophy
Popliteal pterygium (autosomal dominant) Distal arthrogryposis II with cleft lip and palate, type IIC Dyggve-Melchior-Claussen syndrome
Poland anomaly Distal arthrogryposis with scoliosis (distal type IID) Dyssgmental dysplasia (Rolland Desbuguos)
Radioulnar synostosis Distal arthrogryposis II with trismus (distal IIE) Encephalopathy-edema-hypsarrhythmia-optic atrophy syndrome (PEHO)
Skeletal dysplasia (Saul-Wilson type) Duane’s retraction syndrome and multiple contractures Ear-patella-short stature syndrome
Symphalangism „Cushing“ Ectodermal dysplasia with contractures Faciocardiomelic syndrome
Symphalangism distal Ectodermal dysplasia with contractures and cardio myopathy Fetal akinesia sequence
Symphalangism brachydactyly Nievergelt-Perlman Type Ectodermal dysplasia with cleft lip/palate and contractures Fetal alcohol syndrome
Transient neonatal arthrogryposis Ectodermal involvement caudal appendage with contractures FG syndrome
X-linked resolving arthrogryposis Focal femoral dysplasia Fryns syndrome
Freeman-Sheldon (craniocarptarsal dystrophy) Fukuyama congenital muscular dystrophy (FCMD)
Hand foot uterus syndrome Geleophysic dysplasia
Hanhart (aglossia adactyly, hypoglossia hypodactyly) German syndrome
Haspeslagh syndrome Ives microcephaly micromelia
Holt-Oram Lenz-Majewski (hyperostotic dysplasia)
Hoepffner syndrome Leprechaunism
King-Denborough Lethal multiple pterygium
Kniest dysplasia Lissencephaly with fetal akinesia sequence
Kuskokwim Martsolf syndrome
Larsen syndrome MASA
Marden-Walker Megalocornea and skeletal anomalies
Marfan syndrome (severe neonatal) Meningomyelocele
Metaphyseal dysplasia (Jansen) Mietens
Misoprostol Miller-Dieker (lissencephaly)

Amyoplasie – die „klassische Arthrogryposis”

Die häufigste Form, sozusagen die „klassische Arthrogryposis”, ist die Amyoplasie. Sie ist insbesondere geprägt durch die typische symmetrische Stellung der Gliedmaßen. Gewöhnlich tritt hier auch ein teratogener Klumpfuß auf. Den Patienten fehlt es an Muskeln, da sie nicht richtig ausgebildet werden. Fehlende Muskeln werden vom Körper durch zusätzliches Bindegewebe ersetzt. Ganz typisch ist auch ein Hämangiom (auch „Blutschwämmchen” oder „Storchenbiss” genannt) bei Geburt mitten im Gesicht. Bei 10 % der Fälle tritt zudem eine Anomalie der abdominalen Strukturen auf, in Form einer vaskulären Störung oder auch andere vaskuläre Gefährdungen wie fehlende Finger oder Zehen. Auffällig ist auch ein unterschiedliches Größenwachstum bei nur einem von eineiigen Zwillingen. Die Tatsache, dass nur einer der Zwillinge eine AMC bekommt, zeigt auch deutlich, dass hier keine genetische Ursache vorliegen kann. Denn sonst hätten es ja beide Zwillinge. Ganz typisch für diese Erscheinungsform ist auch die nach hinten abgewinkelte Hand, die scherzhaft auch als das diskrete „Polizistentrinkgeld” („the policeman tip”) bezeichnet werden kann. Bei nur etwa 10 % der Fälle sind lediglich die Arme oder Hände betroffen, bei 7-8 % nur die Beine oder Füße. Aber bei diesen Fällen kann es auch sein, dass es sich nicht um eine Amyoplasie handelt. Am häufigsten sind demnach alle vier Gliedmaßen betroffen. Jedenfalls ist die Erscheinungsform einer Amyoplasie ganz typisch, so dass sie vom geschulten Auge leicht als solche erkannt werden kann.

Patienten mit Amyoplasie sprechen überraschend gut auf früh beginnende Physiotherapie an. Es gibt kein auffälliges Wiederholungsrisiko oder ein Risiko für andere angeborene Anomalien.

Die Pathogenese, also die genaue Entstehung und Entwicklung der Amyoplasie, ist bis heute nicht genau bekannt. Als Erklärungsversuch werden vaskuläre Faktoren vorgeschlagen, die häufig auch bei Zwillingsschwangerschaften zu beobachten sind. Diese können vielfältige Probleme verursachen, so zum Beispiel einen Darmverschluss, eine Gastroschisis, muskuläre Defekte in der lateral-abdominalen Wand oder das Entstehen einer pleuralen Kuppel. Fraglich ist, ob sie auch eine Amyoplasie ursächlich begründen können.

Ätiologische Gruppierung

Eine Annährung an die verschiedenen Diagnosen der Arthrogryposis kann durch eine ätiologische Gruppierung erfolgen, also nach den verschiedenen Ursachen, die zugrunde liegen. Hierzu kommen vielfältige Störungen als Ursache in Betracht: an Muskeln, die Längen und Lagen von Sehnen, periphere Nerven und Endplatten, Funktionen des Zentralnervensystems, Knochen, Raumbegrenzungen während der Schwangerschaft, mütterliche Erkrankungen, Medikationen und Verletzungen, sowie Gefäßabrisse. Alle diese Gruppen müssen einzeln betrachtet werden.

Der menschliche Körper hat verschiedene Muskeltypen: die gestreifte, willentlich beeinflussbare Muskulatur, die glatte Muskulatur und die spezielle Herzmuskulatur sowie kombinierte Typen. Bei den Myopathien und den Distalen Arthrogryposen, kommt es zu Funktionsstörungen der sich schnell kontrahierenden Muskeltypen. Diese werden jedoch erst ab der 12. Schwangerschaftswoche ausgebildet. Das hierfür verantwortliche Gen ist inzwischen bekannt, so dass hierzu eine genetische Beratung möglich ist.

Bei der Form des Trismus pseudocamptodactyly liegen die ursächlichen Probleme hingegen bei der Länge und der genauen Lage der Sehnen der betroffenen Gelenke.

Beim Multiplen Pterygium-Syndrom, Escobar-Typ und letale Formen liegen Störungen der peripheren Nerven und deren Endplatten vor, genauer gesagt sind es Funktionsstörungen der ACh-Rezeptoren des Fötus, die sich von denen des ausgewachsenen Kindes unterscheiden. An Mäusen hat man inzwischen hierzu erfolgreiche Therapieversuche unternommen.

Wiederum bei der Trisomie 18 sind die Funktionen des Zentralnervensystems gestört.

Wenn ein begrenzter Raum im Mutterleib ursächlich für die Arthrogryposis ist, können die Versteifungen auch asymmetrisch vorliegen.

Die Ursachen können auch im Rückenmark begründet sein, wie bei der Form X-linked letal – ubiquitin.

Es kann auch eine fetale Akinesie-Deformationssequenz vorliegen, hier bewegt sich der Fötus im Mutterleib während der Schwangerschaft nicht. Es sind verschiedene Mechanismen beim Export der mRNA im Muskel beschrieben worden.

Weiter können auch knöcherne Ursachen, wie eine Knochendysplasie, vorliegen.

Schließlich muss auch eine mütterliche Krankheit, Medikamenteneinnahme oder Verletzung während der Schwangerschaft als mögliche Ursache in Betracht gezogen werden.

Andere Arten der Gruppierung

Darüber hinaus sind auch noch andere offensichtliche Arten der Gruppierung möglich, nämlich eine Unterscheidung nach folgenden Typen:

  • Amyoplasie und andere vaskuläre Störungen
  • Distale Arthrogryposen
  • Pterygium-Syndrome
  • Knöcherne Fusionen
  • Myopathien
  • Letale SMA, X-linked lethal arthrogryposis
  • Letaler Pena-Shokeir-Phänotyp (ZNS-Struktur Untertypen)
  • COFS (Cerebro Oculo Facial syndrome)
  • LCCS 1-3 (Lethal Congenital Contracture syndromes)
  • Neu-Laxova-Syndrom
  • Camptodactylien
  • Skeletale Dysplasien
  • Missbildungssyndrome
  • Chromosomale Abnormitäten

Auch die distalen Arthrogryposen und die Pterygium Syndrome lassen sich weiter in verschiedene Typen gruppieren.

Letztlich ist es vor allem deshalb wichtig, die genaue Ursache einer Arthrogryposis zu kennen, um den Mechanismus besser zu verstehen, der zu den Versteifungen geführt hat, um auf dieser Basis eine gezielte Therapie einleiten zu können. Denn der Körper ist ein äußerst komplexer Mechanismus, in dem sich auf unterschiedlichsten Pfaden die verschiedenen Erscheinungsformen einer Arthrogryposis bilden können.

Gerade in den vergangenen Jahren hat sich ist das Wissen über eine Vielzahl dieser Pfade und der beteiligten Gene enorm erweitert. Daher kann es sich durchaus lohnen, nochmals zu einer genetischen Beratung zu gehen, auch wenn diese vor vielen Jahren noch keine aussagekräftigen Ergebnisse liefern konnte.

Tabelle 2: Chromosomale Bestimmung von Genen bei Erkrankungen mit multiplen angeborenen Kontrakturen

Disorder Chromosomal Localisation
Primarily musculoskeletal involvement
Krakowiak distinct face 11p15.5 (TNN12)
Distal arthrogryposis Type I 9q21.2 and 11p (tropomin 1 and T)
Distal arthrogryposis DA2B 9q21.2 (TNNT3)
Israeli: Arab neurogenic AR 5qter
X-linked lower limbs Xq23-27
Musculoskeletal involvement plus other system anomalies
Bruck syndrome 17p12 (TLH) (PLOD2)
Camptodactyly arthropathy coxa vara pericarditis syndrome 1q25-q31
Camptomelic dysplasia 17q24.3-q25.1
Carney variant 17p12-13 (MYH8)
Contractural arachnodactyly 5q23-31 (FBN1)
Diastrophic dysplasia 5q31
Freeman-Sheldon syndrome 11p15.5.-pter
Holt-Oram syndrome 12q2
Inclusion-body myopathy 17p13.1 (MyHC)
Kniest dysplasia 11q14.13
King-Denborough syndrome (multiple pterygium and malignant hyperthermia) Linked to genes for malignant hyperthermia in 19q13.1 and 17q1
Marfan syndrome (severe neonatal) 15q21.1 (FBN2)
Multiple synostosis 17q21-22
Nail-patella syndrome 9q34
Neurofibromatosis 17q11-q12
Patella hypoplasia 17q21-22
Pfeiffer cardiocranial syndrome 8p12
Popliteral pterygium syndrome 1q32-q41 (IRF6)
SED congenital 11q14.13
Symphalangism 9q
Trismus pseudocamptodactyly 17p12-p13.1 (MYH8)
Tuberous sclerosis 11q14-q23
Ulsich congenital muscular dystrophy 21q22 (COL6A2)
Musculoskeletal involvement plus central nervous system dysfunction and/or MR
ARC (Nezeloff syndrome) 15q26 (VSP33B)
Central core disease RYR1
Cerebral-oculo facio skeletal (COFS) syndrome XPD
Clasped thumb and mental retardation Associated with X-linked hydrocephaly
Congenital muscular dystrophy (merosin deficient) 6q22-23 (LAMA2)
Fukuyama congenital muscular dystrophy 9q31-q33 (FCMD)
Lethal Finnish arthrogryposis 9q34
MASA syndrome Xq28
Miller-Dieker syndrome 17
Muscular dystrophy, congenital, rigid spine 1p35-36 (SEPN1)
Myotonic dystrophy 19q13.3
Myasthenia congenital Rapsyn
Nemaline myopathy Nebrulin
Osteogenesis 7q21.3-q22.1
Prader-Willi syndrome 15q
Spastic paraplegia (Goldblatt syndrome) Xq21-q22
Spastic paraplegia (Goldblatt syndrome) Xq21-q22
Spinal muscular atrophy deletions 5q13.3 (SMN)
X-linked lethal arthrogryposis Xp11.3q11.2

Der Gebrauch ist entscheidend für eine normale Entwicklung

Symptome einer Fetalen Akinesie-Deformationssequenz (FADS) oder auch Pena-Shokeir-Syndrom Typ I sind neben einer intrauterinen Wachstumsverlangsamung und angeborenen Gelenkkontrakturen der Gliedmaßen auch unterentwickelte Lungen und eine zu kurze Nabelschnur sowie ein kurzer Darm. Hinzu kommt eine Vermehrung des Fruchtwassers (Polyhydramnion), meist aufgrund der Unfähigkeit des Fötus, das Fruchtwasser zu schlucken. Darüber hinaus treten Gesichtsanomalien auf wie ein kleiner Mund (Micrognathia), eventuell eine Gaumenspalte, ein hoher Nasenrücken sowie eine gesenkte Nasenspitze.

Die vielfältigen Symptome, die letztlich aus einer verminderten Bewegung des Kindes im Mutterleib resultieren, machen deutlich, dass ein Mangel an normalen mechanisch ausgeübten Kräften in den Wachstumsphasen zu sekundären Deformationen führen kann. Der tatsächliche Gebrauch der einzelnen Körperteile ist demnach entscheidend für eine normale Entwicklung.

Im Gegensatz dazu, kann alles was eine Verringerung der fetalen Gelenkmobilität verursacht (neurologische Defizite, fetaler Raummangel, mütterliche Krankheit, bindegewebige skeletale Dysplasie, vaskuläre Störungen sowie Muskeldefekte), schließlich zu multiplen angeborenen Kontrakturen, also zu einer Arthrogryposis führen.

Da als mögliche Ursache immer auch eine mütterliche Krankheit in Betracht gezogen werden muss, machen sich viele Mütter Sorgen oder sogar Vorwürfe. Sie denken dann an die Zeit ihrer gesamten Schwangerschaft zurück und können sich dann oft an verschiedene Krankheitssymptome erinnern, die sie damals ignoriert haben. Dazu ist jedoch zu sagen, dass jede Schwangerschaft von durchschnittlich zwei Krankheiten der Mutter begleitet wird, die keinen Einfluss auf die Entwicklung des Kindes haben. Manchmal ist es sogar so, dass alleine das Kind im Bauch bei der Mutter bereits das Gefühl von Krankheit auslösen kann. Dieser Einflussfaktor sollte daher von den Müttern nicht überbewertet werden. Auch kann eine Krankheit in der Spätphase der Schwangerschaft nicht mehr der Auslöser sein, da die Entwicklungsstörungen bereits sehr früh passieren. Ebenso kann auch bei Zwillingen, von denen nur ein Kind betroffen ist, eine Krankheit der Mutter als Ursache ausgeschlossen werden.

Es sind lediglich drei Fälle bekannt, bei denen das durch Medikamenteneinnahme bedingte Erschlaffen von Muskeln der Mütter auch zum Erschlaffen der Muskeln des Kindes geführt hat. Die Einnahme von Valium durch die Mutter während der Schwangerschaft kann als Ursache ausgeschlossen werden.

Im Kreis der Mitglieder von The Arthrogryposis Group (TAG) in Großbritannien sind acht Fälle bekannt von Müttern, die an einer Arthritis leiden. Unklar ist noch, ob es einen Zusammenhang mit der Arthrogryposis ihrer Kinder gibt, aber diese Häufigkeit ist immerhin doch so auffällig, dass sich eine genauere Betrachtung lohnen würde.

Vorgeburtliche Diagnose durch Langzeit-Ultraschall

In der normalen fetalen Entwicklung beginnt die Bewegung der Gliedmaßen mit 8 Wochen, die der proximalen Glieder mit 9 Wochen und die der distalen mit 10 Wochen. Dies bedingt jedoch das Vorhandensein einer intakten neuromuskulären Einheit. Bei der Entwicklung der Gliedmaßen ist die Reihenfolge zunächst vom Kopf zum Fuß hin, also zunächst die oberen, dann die unteren Gliedmaßen. Und die rechte Seite entwickelt sich vor der linken. Zunächst erfolgt die Gefäßversorgung, dann die Enervierung.

Im zeitlichen Verlauf gibt es bei der embryonalen bzw. fetalen Bewegungsentwicklung folgende Ereignisse:

4. Woche: Herz beginnt zu schlagen,
5.-6. Woche: Kopf und Rumpf „rühren sich”,
7. Woche: Schultern „zucken”,
8. Woche: Rhythmisches „Atmen” beginnt, obwohl der Kehlkopf noch nicht geöffnet ist,
9. Woche: Oberarme bewegen sich,
10. Woche: Hüfte, Unterarme bewegen sich,
11. Woche: Untere Gliedmaßen beginnen zu treten,
12. Woche: Hände öffnen sich und Handgelenke bewegen sich in die korrekte Position,
14. Woche: Querfalten der Hände entwickeln sich (Längsfalten bei Unbeweglichkeit).

Wenn die Organe beginnen zu funktionieren, beginnen auch die Muskeln des Körpers sich zu kontrahieren, und sie dehnen das sich entwickelnde Gewebe von innen und außen.

Je nachdem zu welchem Zeitpunkt also Vorfälle im Mutterleib die Entwicklung stören, bilden sich unterschiedliche Kontrakturen aus:

8. Woche: Kiefer,
9. Woche: Obere Gliedmaßen,
10. Woche: Obere und untere Gliedmaßen,
11. Woche: Obere Gliedmaßen.

Diese Vorgänge lassen sich bei einer üblichen Ultraschalluntersuchung von kurzer Dauer normalerweise nicht erkennen. Denn die Beobachtung von Bewegungen des Kindes, gehört leider nicht zum Standardprogramm der Untersuchung. Denn in der Regel wird hier nur die Größenentwicklung des Kindes gemessen. Aus diesem Grund wird etwa die Hälfte aller AMC-Fälle heute noch nicht vorgeburtlich erkannt, obwohl eine Ultraschalluntersuchung gemacht wurde. Notwendig zur Erkennung ist eine lange, aufmerksame Ultraschalluntersuchung in Echtzeit von mindestens 45 Minuten bis einer Stunde, die von einem geübten Diagnostiker durchgeführt wird. Es ist jedoch wichtig, die verschiedenen Hinweise zu kennen, damit man weiß, wonach man schauen muss. Eine solche Untersuchung sollte durchgeführt werden, wenn es einen Verdacht bzw. eine familiäre Vorgeschichte gibt. Die Untersuchung sollte dann in der 12., 14., 18., 22., 26., 30., 34. und 38. Schwangerschaftswoche wiederholt werden.

Bei einer solchen Langzeit-Ultraschalluntersuchung lassen sich gegebenenfalls folgende Dinge erkennen:

  • Nackenödem,
  • dünne, unterkalzifizierte Knochen,
  • verminderte Bewegung, die jederzeit von der 11. bis zur 34. Woche beginnen kann,
  • kleine Lungen,
  • Zwerchfell ist defekt oder zeigt eine verminderte Bewegung,
  • andere Struktur- oder Raumeinschränkungen (amniotisches Band, uterines Fibrom, Fruchtwassermenge)

Die fetale Bewegung ist auf jeden Fall entscheidend für die normale Entwicklung der Gliedmaßen. Ihr Fehlen führt zur oben beschriebenen Fetalen Akinesie-Deformationssquenz.

Viel Bewegung und frühzeitige Geburt

Die entscheidende Frage ist nun, welche Schlüsse man aus dem Wissen um die Entwicklungsphasen des Kindes für die Therapie der AMC ziehen kann. Hierzu befinden sich die wissenschaftlichen Überlegungen noch ganz am Anfang.

Die Mütter sollen sich in der Schwangerschaft so viel wie möglich bewegen und tiefe Atemübungen machen, denn die mütterliche Aktivität könnte einen positiven Einfluss haben. Daher sollten die Mütter durchaus auch Sport treiben, denn die Bewegung der Mutter kommt auch dem Kind zugute. Nach dem ersten Trimester der Schwangerschaft kann auch Koffein für eine zusätzliche Belebung sorgen. Die Mütter sollen also durchaus viel Kaffee und schwarzen Tee trinken.

Es kann jedoch auch zu einer bewusst herbei geführten frühen Geburt bereits ab der 36. Schwangerschaftswoche geraten werden, wenn bei der sonstigen Entwicklung des Kindes, insbesondere der Lungen, alles in Ordnung ist. Auf diese Weise lassen sich vier zusätzliche Wochen an Bewegung für die Gelenke anstatt einer weiteren Immobilisation im Mutterleib erzielen. Zwar gibt es hierzu noch keine wissenschaftlichen Studien, aber Beobachtungen bei Kindern mit distalen Formen der AMC haben gute Ergebnisse gezeigt.

Frühgeburten von vier Wochen stellen heute kein Problem mehr dar. Noch 3-4 Monate nach der Geburt, kann das Kind die fehlenden Entwicklungsschritte auch außerhalb des Mutterleibs noch nachholen. In dieser Zeit ist es zum Teil noch Fötus und schon Neugeborenes, kann also noch einiges aufholen. Dies betrifft das Wachstum der Lungen, aber auch der Darm gewinnt noch an Beweglichkeit und Absorptionsfähigkeit. Kontrakturen in den Gelenken können sich lösen und Muskelatrophien können sich durch den aktiven Gebrauch umkehren. Selbst die Knochen können durch die Bewegung und den Druck noch in der Länge wachsen und stärker werden. Gerade in den ersten 4 Monaten ist Mobilisierung für die Entwicklung der Gelenke besonders wichtig.

Es stellt sich sogar die theoretische Frage, ob eine gezielte Physiotherapie nicht auch bereits im Mutterleib während der Schwangerschaft begonnen werden kann. Die entsprechenden Methoden hierzu sind jedoch noch nicht entwickelt worden.

Herausforderungen für die Therapie

Die Therapie der Arthrogryposis ist vor vielfältige Herausforderungen gestellt und fordert systemübergreifende Überlegungen. Die verschiedenen Formen der AMC weisen auf der einen Seite zwar eine enorme Heterogenität auf, aber auf der anderen Seite finden sich auch ebenso viele Gemeinsamkeiten.

Es darf keine Gelegenheit ausgelassen werden, die Gelenke durch regelmäßiges Üben zu gebrauchen und zu strecken, zum Beispiel durch das Heben von Gewichten. Eine Rückbildung der Muskeln durch Nichtgebrauch (Atrophie) muss auf jeden Fall vermieden werden. Früher konnte man diagnostisch nicht sehen, wie viel Muskeln überhaupt vorhanden war, aber heute bieten Ultraschall und MRT die entsprechenden Möglichkeiten. Gelenke streben immer wieder zurück in die Ursprungsposition, der „in utero-Stellung”. Warum das so ist, ist heute noch unklar. Aber Therapieerfolge müssen unbedingt gesichert werden. Hierzu ist unter anderem das Tragen von Nachtschienen erforderlich.

Bei Operationen darf der Gelenkknorpel nicht verletzt werden und Narbenbildung muss wo immer möglich vermieden werden.

Die Aufgabe der Familie

Die Aufgabe der Familie ist es, die Therapie zu unterstützen. Aber in allererster Linie soll sie zunächst immer und überall Fragen stellen.

Darüber hinaus sollte die Familie die Entwicklung des Kindes und den Verlauf der Therapie dokumentieren, indem sie immer wieder Fotos macht oder auch Videos aufnimmt und sich ein Notizbuch anlegt, in dem sie immer wieder ihre Beobachtungen aufzeichnet. Dabei sollten sowohl die Veränderungen über einen längeren Zeitraum dokumentiert werden, als auch völlig neue Beobachtungen aufgeschrieben werden. Grundsätzlich könnte alles relevant sein. Alle diese Aufzeichnungen können den verschiedenen Therapeuten wertvolle Informationen geben, die sie in der üblichen kurzen Dauer einer Sprechstunde oder Visite kaum erlangen können.

Wiederholungsrisiko

Heutzutage lässt sich bei rund der Hälfte aller Fälle eine genaue Diagnose zum Typ der Arthrogryposis stellen. Und auf dieser Basis ist es auch möglich, eine Wahrscheinlichkeit für das Wiederholungsrisiko, also dass ein Kind von AMC-Betroffenen ebenfalls mit einer AMC zur Welt kommt, anzugeben. Bei den Distalen Arthrogryposen liegt das Wiederholungsrisiko etwa bei 50 %, bei einer Amyoplasie hingegen ist das Wiederholungsrisiko praktisch bei null.

Auch je nach betroffenen Körperregionen lassen sich Wahrscheinlichkeiten für ein Wiederholungsrisiko angeben. Sind hauptsächlich nur die Gliedmaßen betroffen, liegt die Wahrscheinlichkeit für die Eltern ein weiteres Kind mit AMC zu bekommen bei 4,0 %. Für die Betroffenen selbst liegt die Wahrscheinlichkeit ein Kind mit AMC zu bekommen dann bei 6,5 %. Sind sowohl die Gliedmaßen als auch andere Bereiche betroffen, liegt die Wahrscheinlichkeit für die Eltern bei 10,8 % und bei den Betroffenen bei 10,4 %. Sind sowohl die Gliedmaßen als auch das Zentralnervensystem betroffen, liegt die Wahrscheinlichkeit bei 5,7 %. Insgesamt ergibt sich für alle Ausprägungen eine Wahrscheinlichkeit von 6,8 %.

Diese durchschnittlichen Werte verschieben sich signifikant, wenn die Fälle, bei denen die spezifischen Diagnosen zum Typen der AMC bekannt sind, ausgeschlossen werden. Dann liegt bei hauptsächlicher Betroffenheit der Gliedmaßen die Wahrscheinlichkeit für die Eltern bei 4,7 %. Sind die Gliedmaßen und weitere Körperregionen betroffen, sind es lediglich 1,4 %. In den Fällen, in denen die Gliedmaßen und das Zentralnervensystem betroffen sind, beträgt die Wahrscheinlichkeit 7 %. Daraus ergibt sich eine Gesamtwahrscheinlichkeit für diese Gruppe von 3 %.

Wenn eine spezifische Diagnose nicht gestellt werden kann, und zwar ausdrücklich nur in diesen Fällen, kann das Wiederholungsrisiko mit 5 % angegeben werden.

Elternratgeber zur Arthrogryposis

Ausdrücklich hingewiesen sei auf den englischsprachigen Elternratgeber „Arthrogryposis – A Text Atlas” von Lynn T. Staheli, Judith G. Hall, Kenneth M. Jaffe und Diane O. Paholke aus dem Jahr 2008 (ISBN 0-521-57106-5), der unter der folgenden Adresse vollständig und kostenlos als PDF-Dokument heruntergeladen werden kann:

http://www.global-help.org/publications/books/help_arthrogryposis.pdf(externer Link)

Fragen an Judith Hall

Im Anschluss an den Vortrag hatten die Teilnehmer Gelegenheit Fragen an Judith Hall zu stellen. Daraus ergaben sich die folgenden Einzelaspekte.

Besteht ein Zusammenhang zwischen Kleinwuchs und Arthrogryposis?

Es besteht grundsätzlich kein Zusammenhang. Denn im Gegensatz zum Kleinwuchs sind bei der AMC keine Wachstumshormone im Spiel. Die Tatsache, dass AMC-Kinder im Durchschnitt 10 % kleiner sind als ihre Altersgenossen, ist dadurch begründet, dass ihre Knochen aufgrund des Bewegungsmangels kürzer gewachsen sind.

Kann die Katastrophe von Tschernobyl der Auslöser für eine AMC gewesen sein?

Die atomare Verseuchung als Folge des Reaktorunfalls in Tschernobyl im Jahr 1986 kann als Ursache für eine AMC ausgeschlossen werden.

Ist auch die Atemmuskulatur betroffen und sollte das Kind nachts ein Beatmungsgerät tragen?

Sowohl das Zwerchfell als auch die Zwischenrippenmuskulatur kann betroffen sein. Außerdem kann es zu Atembeschwerden durch eine ausgeprägte Skoliose kommen. Falls der behandelnde Arzt das Tragen eines Beatmungsgeräts empfiehlt, ist dies absolut in Ordnung.

Falls der Daumen nicht weiter wächst, sollte er operiert werden?

Das ist vermutlich sinnvoll. Der Eingriff sollte aber auf jeden Fall nur durch einen Spezialisten für die kindliche Hand durchgeführt werden. Operativ können hier durchaus gute Ergebnisse erzielt werden. Dabei sind zwei Aspekte zu berücksichtigen: zum einen die Beweglichkeit des Daumens, aber auch die Stellung kann verändert werden, damit er im Alltag nicht immer im Weg ist. Knochen können durchaus noch wachsen, so lange die Wachstumsfuge nicht geschlossen ist.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen der AMC und einer Skoliose?

Etwa ein Drittel bis die Hälfte aller AMC-Betroffenen haben auch eine Skoliose, so dass hier sicher ein Zusammenhang besteht. Wenn die Skoliose sich verschlimmert, ist eine Behandlung zwingend erforderlich – zunächst durch das Tragen eines Korsetts, ab einem bestimmten Grad auch durch eine Operation. Durch eine Skoliose verändert sich auch die Atmung (siehe oben).

Ist bei Adoptivkindern für eine genetische Beratung auch die Untersuchung der leiblichen Eltern erforderlich?

Wenn die leiblichen Eltern für eine genetische Untersuchung nicht verfügbar sind, genügt auch die Untersuchung des Kindes.

Gibt es bei der Arthrogryposis auch Probleme mit Muskelspastiken?

Die Geburt von Kindern mit AMC ist immer ein schwieriges Unterfangen wegen der unbeweglichen Gelenke. Zu einem Sauerstoffmangel kommt es dabei allerdings dennoch selten. Der häufige Gebrauch der wenigen, schwachen Muskeln kann durch die große Belastung jedoch auch zu Spastiken führen.

Ist die Behandlung mit Botox bei der Arthrogryposis sinnvoll?

Nein, denn sie führt bei der AMC nicht zu einer Stärkung des schwächeren Muskels. Beim idiopathischen Klumpfuß ist diese Therapie eventuell möglich, nicht jedoch beim äußerst rigiden AMC-Klumpfuß.

Kann die Einnahme von Kalzium zur Stärkung der Knochen dienen?

Eine einfache Zuführung von Kalzium hätte wohl kaum den gewünschten Zweck, da die Knochen dieses nicht aufnehmen würden.

Was kann man bei Schmerzen tun?

Hier helfen oft schon heiße Bäder, denn sie entspannen die Muskeln. Und grundsätzlich gilt, dass man weiterhin möglichst aktiv sein sollte, auch wenn die Muskeln schmerzen.
Protokoll: Heribert Wettels

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