Informationen für die Physiotherapie

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Informationen für die Physiotherapie

Kastner, Recktenwald

Bei der Behandlung von Arthrogryposis multiplex congenita (AMC), also der angeborenen Gelenksteife, lassen sich mit Hilfe von Physiotherapie wichtige Erfolge erzielen. Dabei ist ein frühestmöglicher Behandlungsbeginn und eine konsequente Anwendung der etablierten Methoden entscheidend.

Was ist Arthrogryposis?

Arthrogryposis multiplex congenita, oder kurz AMC, ist eine angeborene Form der Gelenksteife, bei der zumeist mehrere Gelenke betroffen sind. Sie stellt eine spezifische Form der Körperbehinderung dar. AMC ist nicht heilbar, jedoch auch nicht fortschreitend.

Der Begriff Arthrogryposis beschreibt ein Zustandsbild (“Gelenkverkrümmung”), ohne exakt etwas über die Ausprägung der Erkrankung auszusagen. AMC ist somit ein Befund, aber keine Diagnose. Auffällig sind die Fehlstellung der Gelenke (vor allem der Hand- und Fußgelenke) und ihre mehr oder weniger stark eingeschränkte Mobilität.

Erscheinungsbild der Arthrogryposis

Eine Arthrogryposis manifestiert sich spätestens bei Geburt. Sie ist jedoch klinisch und genetisch sehr heterogen. Vom klinischen Erscheinungsbild wird eine Einteilung in drei Schweregrade (“Münchener Klassifikation”) vorgenommen.

Der Phänotyp erinnert an eine hölzerne Puppe (“wooden doll”). Charakteristisch sind dabei folgende Merkmale:

  • deformierte, starre Gelenke (“Gelenkverkrümmung”),
  • unterentwickelte/fehlende Muskelgruppen,
  • Hüftluxationen,
  • keine Sensibilitätsstörungen

Häufige Schemata der AMC sind unter anderem:

  • steife Hände und Finger, 90° Handstellung
  • Ellenbogen in gebeugter oder gestreckter Stellung fixiert
  • Schultern nach innen gedreht (Adduktion), Auswirkung auf die Handstellung (“gedreht”)
  • Hüften in Abduktionsstellung, Adduktionstellung oder verrenkt
  • Knie in gebeugter oder gestreckter Stellung fixiert
  • Spitzfüße
  • ausgeprägte Skoliosis (teils durch Ausgleichsbewegungen, teils angeboren)

Die Betroffenen verfügen meist über eine normale Intelligenz. Häufig gibt es primär kein Fortschreiten der Versteifungen.

Therapiebeginn so früh wie möglich

Wichtige therapeutische Erfolge werden mit Physiotherapie erzielt. Sobald die Diagnose gestellt ist – was im Idealfall gleich nach der Geburt geschieht -, sollte die Behandlung so früh wie möglich beginnen. Die Entwicklung ist beim Neugeborenen jedoch nicht vollständig vorhersehbar. Die Motivation des Kindes und die Unterstützung durch die Eltern spielen eine tragende Rolle in dieser Entwicklung.

Ziele der Behandlung

Oberste Priorität der Physiotherapie sollte es haben, die bestehende Gelenkbeweglichkeit aufrecht zu erhalten und möglichst auszubauen. Des Weiteren ist es wichtig, das Kind in seiner normalen Entwicklung zu bekräftigen, indem übliche Bewegungsabläufe wie das Rollen, Sitzen und Aufstehen im entsprechenden Alter unterstützt werden.

Das Ziel der Behandlung sollte die bestmögliche Unabhängigkeit des Kindes sein. Hierzu zählen nicht nur die Geh- und Sitzfähigkeit, sondern unter anderem auch die eigenständige Körperpflege, der Gang zur Toilette sowie selbständiges Essen und Ankleiden.

Behandlungsmethoden

Durch manuelle Therapie können die versteiften Gelenke schrittweise mobilisiert werden. Bietet beispielsweise die über die Handgelenke gespannte Haut genug Spielraum, so spricht das für eine gute zukünftige Beweglichkeit der Hände.

Der Physiotherapeut beginnt mit dem passiven Dehnen des straffen Gewebes sowie der behutsamen Mobilisation der Gelenke. Bewegliche Gelenke sollten regelmäßig aktiviert werden, um ein nachträgliches Versteifen zu verhindern. Die normale Entwicklung sollte gefördert werden. Vor anstehenden Operationen kann durch gezieltes Dehnen der Haut und der Gelenke der spätere Operationserfolg unterstützt werden.

Zusätzlich werden Therapien auf neurophysiologischer Basis zum Beispiel nach Vojta und/oder Bobath durchgeführt, bei denen die neuromuskulären Aktivitäten, soweit vorhanden, angeregt werden. Mehrere Sitzungen am Tag während der ersten Jahre unterstützen die bestmögliche Entwicklung. Die Intensität aber auch der Erfolg dieser Therapien ist in den ersten Jahren besonders groß. Sie lässt sich später ohne große Nachteile verringern. Ein Basisprogramm sollte langfristig den erreichten Erfolg sichern.

Manuelle Therapie

Die verschiedenen Behandlungsmethoden der Manuellen Therapie (nach Kaltenborn-Evjent, Maitland) befassen sich alle mit der Verbesserung der Mobilität in den eingeschränkten Gelenken. Diese Therapieform ist bei der AMC unerlässlich und für die weitere Entwicklung des Kindes von größter Bedeutung. Eine Anleitung der Eltern durch den Manualtherapeuten ist wichtig, um die Therapie zu Hause fort zu führen und somit einen größeren Erfolg zu erzielen.

Vojta-Therapie

Diese Therapieform wurde von Prof. Dr. Vaclav Vojta Anfang der 1950-iger Jahre entwickelt. In der Vojta-Therapie werden auf bestimmte Reize, in genau definierten Ausgangsstellungen und unabhängig des Schweregrades der Erkrankung, motorische Reaktionen (Bewegungsmuster, Reflexlokomotion) des ganzen Körpers ausgelöst.

Diese Bewegungsmuster werden durch die dynamische Aktivität der Muskulatur angebahnt, die für alle Entwicklungsschritte des Kindes erforderlich und maßgeblich ist. Bei Kindern mit AMC kann die Vojta-Therapie eine Aktivierung der schwachen Muskulatur bewirken und daraus resultierend eine verbesserte Gelenkbeweglichkeit. Zudem wird das Kind positiv in seiner Entwicklung unterstützt, da physiologische Bewegungsmuster angebahnt werden.

Die individuell verschiedenen Übungsprogramme werden in der Physiotherapie ermittelt. Die Eltern werden vom Vojta-Therapeuten angelernt, da die Therapie mehrmals am Tag durchgeführt werden sollte. Schulung und Motivation der Eltern ist damit ein wichtiger Erfolgsfaktor der Vojta-Therapie.

Bobath-Konzept

Das Bobath-Konzept beruht auf dem Prinzip der bestmöglichen Unterstützung physiologischer Bewegungen. Diese sollen dadurch erreicht werden, dass das Kind bei der Ausführung seiner eigenen Aktivität optimal gefördert wird, um das Ziel zu erreichen. Ursprünglich für die Behandlung von Menschen mit Hirnschädigung entwickelt, wurden bei der Therapie nach dem Bobath-Konzept auch bei der AMC Erfolge erzielt.

Orthesenversorgung

Die Orthesenversorgung wird individuell auf die Bedürfnisse des Kindes abgestimmt. Nur so können die Durchblutung der Extremitäten sicher gestellt sowie Nervenschäden verhindert werden. Die Orthesen sollen die Kinder in ihrer Aktivität unterstützen (dynamische Orthesen), aber auch positiv auf die Gelenksbeweglichkeit eingehen (Nachtlagerungsschienen).

Da spätestens nach operativen Eingriffen Orthesen in der Regel unumgänglich sind, sollte das Kind so früh wie möglich lernen, die Schienen zu tolerieren und sich langsam an den von ihnen ausgeübte Dehnung gewöhnen.

Therapie des Klumpfußes

Besondere Bedeutung hat die Behandlung des bei AMC regelmäßig auftretenden Klumpfußes, da er unbehandelt ein Stehen und Gehen der Kinder verhindern würde. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass bei der AMC durch die zum Teil sehr rigiden Versteifungen der Gelenke andere Bedingungen als beim idiopathischen Klumpfuß herrschen können. Die Therapieergebnisse sind daher nicht immer vollständig übertragbar.

Wickeltherapie nach Zukunft-Huber

Diese Therapieform ist nicht als ausschließliche Klumpfußbehandlung bei AMC zu sehen. Sie kann je nach Schweregrad unterstützend wirken, die Füße optimal auf eine Operation vorzubereiten oder sie im Falle einer späteren Gipsbehandlung bis dahin positiv beeinflussen. Die Eltern sollten die Vorgehensweise von einem erfahrenen Therapeuten erlernen und zu Hause selbständig anwenden.

Die Ponseti-Methode

Die Klumpfuß-Behandlung nach Dr. Ignacio Ponseti ist eine überwiegend nicht-operative Behandlungsmethode und sollte gleich nach der Geburt begonnen werden. Durch mehrfache, aufeinander folgende Gipse werden die Klumpfüße korrigiert und in eine physiologischere Stellung gebracht. Gegen Ende der Gipsbehandlung wird in einem kleinen operativen Eingriff die Achillessehne durchtrennt, damit der Fuß in seine Endstellung korrigiert werden kann. Es folgt eine spezielle Nachbehandlung mit einer Fußschiene. Die Methode hat sich aufgrund der hervorragenden Ergebnisse beim idiopathischen Klumpfuß weltweit durchgesetzt.

Autoren:

Tina Kastner, Stv. Fachbereichsleitung Physiotherapie/Kinderorthopädie am Behandlungszentrum Vogtareuth
Stud. med. Sascha Recktenwald, Interessengemeinschaft Arthrogryposis e.V.
sascha.recktenwald@arthrogryposis.de

April 2009


Interessengemeinschaft Arthrogryposis e.V.

Selbsthilfe für Betroffene und Angehörige

Die Probleme, die auf eine Familie zukommen, wenn ein behindertes Kind geboren wird, gehen weit über das hinaus, was Ärzte im Rahmen ihrer Therapie bieten können. Die Eltern sind auf Hilfe in psychologischen, pflegerischen, erzieherischen, versicherungs- und steuerrechtlichen Fragen angewiesen. Hierzu kann die Interessengemeinschaft Arthrogryposis (IGA) e.V. wertvolle Unterstützung bieten.

Weitere Informationen unter www.arthrogryposis.de